Vor allem in Entwicklungsländern leiden viele Menschen unter den Auswirkungen des globalen Wirtschaftssystems. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Reichtum einiger weniger und der Armut vieler Menschen.
Foto: SÜDWIND/Akash
Die Annahme, ökonomisches Wachstum sei als eine Grundvoraussetzung für eine Steigerung der Lebensqualität der Menschen zu betrachten, ist inzwischen überholt.1
Ein einseitiger Fokus auf die Steigerung der Güterproduktion und der Preise hat nicht zur Lösung von Problemen beigetragen, sondern im Gegenteil oftmals zu ihrer Verschlimmerung geführt. Daher ist ein radikales Umdenken vonnöten, weg von einseitigem ökonomischem Wachstum, hin zu nachhaltigem Wachstum und menschenwürdiger Arbeit.
Im Folgenden wird dies exemplarisch anhand des Beispiels einer Analyse der Wertschöpfungskette von Schuhen verdeutlicht.
Die Schuhbranche eignet sich besonders gut als Beispiel, da sie weltweit zu den nach wie vor wachsenden Wirtschaftsbranchen gehört. Außerdem sind einzelne Glieder in dieser zunehmend globalisierten Wertschöpfungskette gerade in den vorgelagerten Produktionsstufen extrem arbeitsintensiv. Einige Produktionsschritte werden nach wie vor nur in Handarbeit und häufig in Heimarbeit getätigt, was zum Beispiel in westeuropäischen Ländern aufgrund des hohen Lohnniveaus und der Arbeitsstandards sehr kostenintensiv ist.
2011 wurden insgesamt über 21 Milliarden paar Schuhe produziert, 2013 waren es bereits mehr als 22 Milliarden. Dies entspricht drei Paar pro Person weltweit. Die meisten Schuhe werden in Europa (circa 40 %) verkauft, gefolgt von China und den USA. Der höchste Pro-Kopf Konsum von Schuhen ist in den USA (7 Paar pro Jahr und Person) zu beobachten, gefolgt von Deutschland, Japan und Großbritannien (circa 5 Paar pro Jahr und Person).
87 % der weltweiten Schuhproduktion findet in Asien statt. Die Anzahl der produzierenden Unternehmen im europäischen Schuhsektor ist stark rückläufig, da viele Schuhunternehmen ihre Produktion in Länder mit geringeren Arbeitsstandards und Lohnstandards auslagern.2
Der durchschnittliche weltweite Exportpreis für Schuhe ist in den letzten Jahren stetig gestiegen aufgrund höherer Produktionskosten durch gestiegene Preise für Rohmaterialien, höhere Energiekosten und Löhne.
Die Wertschöpfungskette von Schuhen lässt sich grob in vier Schritte unterteilen, die allerdings von Schuh zu Schuh sehr unterschiedlich aussehen können.
Dieser erste Schritt findet beim Markenunternehmen statt und besteht vor allem aus Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Der eigentliche Entwicklungsprozess eines Schuhs beginnt etwa 18 bis 24 Monate vor Verkaufsstart beim Produktmanager im Markenunternehmen. Die benötigten Materialien und die daraus bereits resultierende Auswahl der Produktionsstätten leiten sich aus der Ausstattung des Schuhs ab. Als nächsten Schritt beginnen die Designer mit der Konkretisierung der Entwürfe, die dann als erste Muster beim Lieferanten vom Markenunternehmen bestellt werden.
Oftmals wird der Schuh sechs bis neun Monate vor Markteinführung auf den Order-Messen der Einzelhändler präsentiert. Hierbei ist entscheidend, wie viele Bestellungen die Einzelhändler aufgeben. Nur wenn die Bestellungen eine gewisse Schwelle überschreiten, wird der Schuh beim Hersteller in Auftrag gegeben.
Die Schuhproduktion lässt sich unterteilen in die vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette, also die Verarbeitung der Rohmaterialien wie zum Beispiel Leder einerseits und in das eigentliche Anfertigen der Schuhe, also zum Beispiel das Zuschneiden, Nähen und Kleben der verschiedenen Komponenten andererseits.
In den ersten Produktionsschritten gibt es eine Vielzahl von arbeitsintensiven Schritten. Allein bei der Ledergerbung wird unterteilt in verschiedene vorbereitende Schritte, Gerben, Nachgerben, Trocknen und abschließende Oberflächenbehandlung. Zur Gerbung des Leders wird zu 85 % Chrom verwendet. In den Gerbereien kommt es durch den Einsatz von Chrom und anderen Chemikalien zu Arbeitsrechtsverletzungen, da oftmals Gesundheits- und Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden.
Beim Anfertigen der Schuhe muss wiederum unterschieden werden zwischen den maschinellen Arbeiten, die in Fabriken getätigt werden und den äußerst arbeitsintensiven Schritten, die meist in Heimarbeit verrichtet werden.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die günstigeren Schuhmodelle mehr Maschinenfertigung aufweisen, während teurere Schuhe in der Regel aus mehr Einzelkomponenten bestehen, die per Hand vernäht und verklebt werden müssen. So kann ein Laufschuh aus 26 verschiedenen Materialien beziehungsweise 65 einzelnen Stücken bestehen und rund 360 Verarbeitungsschritte aufweisen.3
Was den Transport und die Lieferbedingungen zwischen Zulieferbetrieb und Transportunternehmen angeht, existiert ein sehr intransparentes, komplexes Geflecht aus Beziehungen, Handelsströmen und Zahlungsbedingungen, das von Schuh zu Schuh variiert. Die Kosten können sehr unterschiedlich hoch sein, da eine Vielzahl von Unternehmen und Subunternehmen an einem Transport beteiligt sind, auch wenn das Markenunternehmen nur mit einem Logistikunternehmen direkt zusammenarbeitet. Zudem ist zu beachten, dass es von Land zu Land große Unterschiede gibt, bspw. durch die erheblich unterschiedlich hohen Ausfuhrzölle, die in China (17 %) weitaus höher als in Vietnam (10 %) oder Indien sind, wo die Ausfuhrzölle auf Lederschuhe Anfang 2015 von 12 auf 6 % gesenkt wurden.4
Am Ende der Wertschöpfungskette stehen die verschiedenen Händler, die die Schuhe an den Endkunden verkaufen.
Anhand einer Analyse der Wertschöpfung eines Laufschuhs lässt sich gut nachverfolgen, wer an welcher Stelle von der Wertschöpfung profitiert – und wer nicht.
Der Kunde bezahlt an den Einzelhändler 120 Euro, dieser an den Zwischenhändler etwa 55 Euro. Der Zwischenhändler bezahlt 50 Euro an das Markenunternehmen, welches das Paar Schuhe für circa 20 Euro vom Produzenten kauft.
Es zeigt sich, dass nur gut 2 % des Endpreises in die Löhne der ArbeiterInnen fließen, die den Schuh herstellen, wohingegen etwa ein Viertel beim Markenunternehmen und ca. ein Drittel im Einzelhandel bleiben. Ein Großteil der Wertschöpfung findet also in den Ländern statt, in denen die sog. immateriellen Wertschöpfungsaktivitäten vollzogen werden. Die geringste Summe entfällt hingegen auf diejenigen Akteure, die die physische Arbeit bewältigen.
Häufig wird Arbeiter und Arbeiterinnen in den Produktionsländern nicht der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn gezahlt, geschweige denn ein existenzsicherndes Einkommen. Und ähnlich wie in der Textilbranche kommt es auch in der Schuhproduktion zu Verletzungen weiterer Arbeits- und Menschenrechte.
So starben zum Beispiel am 31. Januar 2015 neun Arbeiter und ein Wachmann in einer Gerberei in Tamil Nadu, Indien, nachdem die Schutzwand einer benachbarten Kläranlage nachts eingestürzt war und die schlafenden Arbeiter überraschte.5 Alle zehn Menschen ertranken in dem hochgiftigen Schlamm. Spätere Untersuchungen des ausgetretenen Klärschlamms ergaben, dass die über 500 Kubikmeter neben Chromsulfaten noch viele weitere gefährliche Substanzen enthielten.6
Am 13. Mai 2015 kamen gar über 70 Arbeiter und Arbeiterinnen bei einem Brand in einer Schuhfabrik in Valenzuela City auf den Philippinen ums Leben. Auch hier wurden grundlegende Sicherheitsstandards missachtet, wie etwa die fachgerechte Aufbewahrung und der sichere Umgang mit hochgiftigen und stark brennbaren Chemikalien sowie die Einhaltung von Brandschutzmaßnahmen.7
Die Globalisierung der Schuhproduktion und die damit einhergehende einseitige Fokussierung auf eine Ausweitung der Produktion haben dazu beigetragen, dass Schuhe in vielen Produktionsländern unter sehr schlechten sozialen und ökologischen Bedingungen hergestellt werden.
Unternehmen und Politik stehen in der Verantwortung, diese Bedingungen zu verbessern. Dazu gehören insbesondere die Zahlung von existenzsichernden Löhnen sowie die Abkehr von der Verarbeitung chromgegerbten Leders.
Nur wenn sich die Akteure in den Importländern wirklich zu nachhaltigem Wachstum und menschenwürdiger Arbeit bekennen, ist eine Schuhproduktion möglich, bei der Arbeitsstandards und Umweltstandards berücksichtigt werden.
SÜDWIND tritt seit der Gründung im Jahr 1991 dafür ein, wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit durchzusetzen. SÜDWIND deckt ungerechte Strukturen auf, macht diese öffentlich, bietet Handlungsalternativen und trägt so zu Veränderungen bei. Dabei verbindet SÜDWIND Forschung mit entwicklungspolitischer Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland und steht in engem Austausch mit Netzwerken, Gesellschaft, Unternehmen und Politik, um Forderungen an geeigneter Stelle zu platzieren.
Das Institut arbeitet zu einem breiten Spektrum von Nord-Süd-Themen, der gegenwärtige Schwerpunkt liegt auf den Themen Entwicklungszusammenarbeit, Frauen und Weltwirtschaft, Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit auf den Finanzmärkten, Rohstoffe und Sozialstandards im Welthandel.
Vor allem in Entwicklungsländern leiden viele Menschen unter den Auswirkungen des globalen Wirtschaftssystems. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Reichtum einiger weniger und der Armut vieler Menschen. Hierfür sind ungerechte wirtschaftliche und politische Strukturen verantwortlich. SÜDWIND weist immer wieder nach, dass insbesondere die Politik und die Wirtschaft, aber auch VerbraucherInnen, eine Mitverantwortung für diese Missstände haben. SÜDWIND arbeitet gemeinnützig und unabhängig von Regierungen, Parteien, Wirtschaft und Kirchen.“
1 Vergleiche Avner Offer, In Pursuit of the Quality of LifeOxford 1996; Tim Jackson/Ned McBride, Measuring Progress?, CES Working Paper, Nr. 11, 2005; Joseph Stiglitz et al., Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress, CMEPSP Issues Paper, 25. Juli 2008.
2 Europäische Kommission, 2015: The EU footwear industry
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3 Cheah et al. 2013: Seite 20
4 The Hindu 2015: Full text of Budget 2015-16 speech
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5 The New Indian Express, 2015: 10 Workers Die as Effluent Tank Explodes in Ranipet
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6 The Hindu, 2015: Ranipet tannery tragedy: Safety trapped in negligence
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7 CTUHR, 2015: On the Kentex Factory Fire
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